Einleitung aus der wikipedia:
„Das European Train Control System (ETCS, deutsch Europäisches Zugbeeinflussungssystem) ist ein Zugbeeinflussungssystem und grundlegender Bestandteil des zukünftigen einheitlichen europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems ERTMS. ETCS soll langfristig die über 20[1] verschiedenen Zugbeeinflussungssysteme in Europa ablösen.“
Ich verfolge das Thema seit der Jahrtausendwende als interessierter Laie und wundere (und ärgere…) mich darüber, wieso die Einführung so langsam voranschreitet. Obwohl ich die diversen Internet-/wikipedia-Artikel bereits konsumiert habe und die Komplexität der Implementierung offensichtlich ist, möchte ich euch um eure Meinung und gute Quellen zu folgender Frage bitten: "Woran liegt es hauptsächlich, dass diese Prozess so langsam voranschreitet [oder, in Esel-Sprache: „Sind wir bald da?“]?
Sind es v.a. bürokratische/administrative Probleme? (z.B. Genehmigungsverfahren)
Mangelt es an Geld?
Fehlen uns technische/organisatorische Ressourcen, also gibt zu wenige Firmen oder in den Firmen zu wenige Kapazitäten, die das planen, umsetzen und bauen können? (* s. Anekdote unten)
Ist es mangelnder politischer Wille, wird also von oben entweder gebremst oder nicht angeschoben, weil man andere/höhere Mobilitäts-/Verkehrsprioritäten hat?
Jedes Defizit finde ich erschreckend! Mich fasziniert die Idee, dass die Kapazitätssteigerung des Verkehrssystems „Bahn“ selbst mit der Einführung von „nur Level 1“ bei mind. 20% liegen soll - und das, ohne eine einzige neue Trasse bauen zu müssen. Selbst wenn die avisierten Kosten von 20-25 Mrd. EUR für eine flächendeckende Einführung in ganz D überschritten würden, fände ich das ein super Preis-Leistungsverhältnis für diese +20%? Das Ziel müsste also sein: Kann man das schneller als in den prognostizierten 15 Jahren schaffen? Ein Experte äußert sich zu diesem Zeitraum sogar skeptisch:
Nun noch eine Anekdote zum Thema „Kapazitäten bei Firmen/Herstellern“: In meinem Wohnort Metzingen wurde vor 10 Jahren ein neuer Bahnübergang in einem Wohngebiet über eine 1-gleisige Strecke (Ermstal) eröffnet. Benötigt wurde dafür eine Schrankenanlage, die mit dem nahegelegenen Bahnhofsbetrieb in Einklang gebracht werden musste. Klingt easy? Hier der wenig amüsante Hintergrund dazu: https://erms-neckar-bahn.de/2012/08/29/bahnuebergang-wielandstrasse-in-metzingen-wird-eroeffnet/
Was kann Politik, was können B90/GRÜNE und die Ampelkoalition zur schnelleren, flächendeckenden Einführung von ETCS beitragen?
Da lohnt ein Blick zurück: Gab es bei LZB auch das Drama einer jahrzehntelangen Verzögerung in der Implementierung? LZB ist der nationalen Vorläufer von ETCS, entwickelt in den 1960er Jahren für Strecken für mehr als 160 km/h. Ab 160 km/h man Triebfahrzeugführer:innen das sichere Wahrnehmen von ortsfesten Signalen nicht mehr zumuten und benötigt daher eine Führerraumsignalisierung, also die Fahrinformationen im Display im Führerraum.
Nein, es gab sie nicht. Wo Strecken mit mehr als 160 km/h befahren werden oder eine deutliche höhere Zugdichte (Kapazität) erzielt werden sollten (S-Bahn München, Offenburg - Basel), wurde LZB problemlos eingeführt. Warum? Weil Strecke und Züge immer gemeinsam gedacht, verstanden und verantwortet wurden. Weil die Finanzierung für Strecke und Fahrzeuge einem gemeinsamen Optimum diente.
Warum kommt ETCS nicht voran? Aus Sicht der „Züge“ (Eisenbahnverkehrsunternehmen, EVU) ist ETCS ein Netz-Projekt, das erstmal hohe Kosten bei fraglichem Nutzen für das individuelle EVU bedeutet. Die Förderung für ETCS-Investitionen erhalten heute nur die Netzbetreiber, nicht die Fahrzeugbetreiber. Das Dilemma unterschiedlicher Ziele und Suboptimierungen wäre rasch gelöst, wenn man die Bahnen Europas höher integrieren würde, also Fahrzeugtechnik, Netztechnik und gemeinsamen Gesamtbetrieb in eine Hand geben würde. Wettbewerb könnte dort, wo er durch unterschiedliche Produkte für den Endkunden (Fahrgast oder Güterkunde) entstehen kann, durch Vermieten von Transportfläche oder Mitführen von Wagen unterschiedlicher Wettbewerber sichergestellt werden (also nicht beim „Deutschlandticket“ ). „Trasse mit Traktion“ ist das Wettbewerbsmodell, das eine rasche Implementierung von ETCS beschleunigt statt - wie heute - verzögert. Das heutige Wettbewerbsmodell, das auch immer noch von einigen in unserer Partei als zeitgemäß gefeiert wird, stammt aus den 1980er Jahren, den Denkschulen der Reagan- und Thatcher-Ära, und führte zu den Bahnreformen in der EU in den 1990er Jahren mit einer mindestens rechnerischen und organisatorischen Trennung von Netz(betrieb) und Zug(betrieb). Was die Strategen aus alter Zeit beharrlich ignorierten: Selbst damals wurde ein Zug vom Netz gefahren, also nach Signalen, Fahrplan und Weisungen. Eine wettbewerbliche Differenzierung für EVUs im Bahnbetrieb existiert nicht. Der erhoffte Wettbewerb über mehr Service drehte sich schon bald in einen gnadenlosen Prekariatswettbewerb auf Kosten von Löhnen und Betriebsstabilität. Die Ausschreibungswettbewerbe der Länder führen zu Job-Nomadentum, Reservenverzehr und hoher Fluktuation. Im gleichen Atemzug den Absturz der Betriebsqualität zu bejammern kann nur als scheinheilig gewertet werden. Mit technischer Innovation (selbst ETCS, das schon in den 1980er Jahren entwickelt wurde) wird die Automatisierung im Bahnsystem weiter zunehmen und eine Trennung von Zügen und Netz noch sinnloser werden. Eher führt die Entwicklung zu einer EU-Staatsbahn mit Verkehrs-Chancen für Mobilitätsplattformen, was nationalen Egoismen und Kontrollbedürfnissen im Weg steht. Vielleich deshalb das verkrampfte Festhalten an einer überholten Bahnpolitik der Trennung von Netz und Betrieb.
Fazit: Wer eine EU-weit rasche und einheitliche Einführung von ETCS will, muss die Randbedingungen der Bahnpolitik ändern:
Bahnen müssen geografisch und betrieblich-technisch integrierter werden: Eine EU-Bahn mit „Trasse & Traktion“, die zahlreiche Wettbewerber für Güterkunden und Reisende als „Zwischenhändler“ für ihre Gesamtangebote nutzen (ähnlich wie im Mobilfunkmarkt). Damit entfallen Interessensgegensätze zwischen Netz und Zügen, Bahn wird als System aus einer Hand organisiert und finanziert. Die Qualität und Leistung unterliegt dem Druck einer Vielzahl von Mobilitätsplattformen, die viel mehr Lobby-Power entwickeln können, als ein einzelner Kunde, der sich allenfalls noch auf EU-Fahrgastrechte abstützen kann.
Die entsprechende EU-Gesetzgebung verpflichtet auch nur die Infrastruktur zur Ausrüstung mit ETCS, nicht aber die Fahrzeuge. Es wäre ein leichtes diese Vorschrift auch auf in Europa zugelassene Schienenfahrzeuge zu erweitern - dann ist ETCS eben ein Standard-Feature für jedes neue Schienenfahrzeug (Nachrüstung bis 20XX). Warum macht man das nicht? In meinen Augen sind es vor allem die nationalen Eigeninteressen der verschiedenen Staatsbahnen innerhalb von Europa. Niemand will sein „bewährtes“ System aufgeben, auch um den Protektionismus gegenüber der europäischen Konkurrenz zu bewahren. So machen alle Staatsbahnen gerade soviel an transeuropäischer Harmonisierung wie sie müssen, aber keinen Schritt mehr. Effizienter grenzüberschreitender Schienenverkehr bleibt damit auch weiterhin eine Utopie. Starke Staatsbahnen sehe ich in dem Zusammenhang leider wenig förderlich - aber wie wäre es denn mit einer einheitlichen EU-Bahngesellschaft? Die Österreicher machen den Fahrplan, die Niederländer verkaufen die Tickets, die Franzosen bauen die Strecken und die Italiener servieren den Kaffee
Frag mal NEE, mofair, etc. Die sind alle gegen die entsprechende Vorschrift, die im übrigen längst existiert. Siehe auch die EBA-Fachmitteilung 17 / 2016 vom 03.08.2016: „Anwendung der Ausnahmeregelung zur generellen Ausrüstungsverpflichtung von Neufahrzeugen mit dem Zusicherungssystem ETCS gemäß Kapitel 7.4.3 der TSI Zugsteuerung, Zugsicherung und Signalgebung:
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) hat entschieden, die Ausnahmeregelung zur generellen Ausrüstungsverpflichtung von Neufahrzeugen mit dem Zusicherungssystem ETCS in Deutschland anzuwenden.“
Es tut mir ja leid, Dein Bild von „autonomen Staatsbahnen“ immer wieder korrigieren zu müssen. Die machen nämlich, was ihr Eigentümer will. Sonst geht das nicht lange gut für die handelnden Personen. Und wer ist der Eigentümer? Die aktuelle politische Mehrheit. Will die eine EU-Bahn? Spannend fände ich das, wenn auch nicht neu. Denn Ende der 1960er Jahre war genau das in Vorbereitung. Wer hat’s gestoppt? Die Eigentümer. Aber genau dafür sind wir vermutlich in der Politik aktiv: Dem Bahneigentümer gute Vorschläge zu machen. Auch wenn der lieber auf andere hört.
Die zentrale Motivation für ein einheitliches Zugsicherungssystem ist doch den grenzüberschreitenden Verkehr zu vereinfachen/verbessern. Aktuell sieht die Situation noch so aus, dass für Regionalverkehr an der Staatsgrenze die Welt zu Ende ist. Grenzüberschreitend gibt es höchstens einzelne Fernverkehrszüge (ja und sehr sehr vereinzelt auch einige Regionalzüge). Für den Alltag in Grenzregionen ist die Bahn nur sehr beschränkt nutzbar, obwohl wir das Prinzip der offenen Grenzen schon ein paar Jährchen haben. Beispiel Aachen wo ich grad wohne: Niederländische Züge enden in Kerkrade, belgische Züge enden in Eupen und deutsche Züge enden in Aachen - drei Sädte die nur wenige Kilometer voneinander entfernt sind, alle einen Bahnanschluss haben, aber auf der Schiene praktisch nicht miteinander verbunden sind. Wollen wir das so? Ich will es eigentlich nicht. Aber wenn wir das so wollen, dürfen wir uns auch nicht beschweren, dass der ModalSplit der Bahn bei grenzüberschreitenden Verbindungen (klein- und großräumig) weiterhin nur verschwindend gering gegenüber Auto und Flugzeug sein wird. Ich verstehe, dass nationale Interessen dagegen stehen, aber Europa funktioniert wie jede Gemeinschaft nur dann für alle, wenn jeder einzelne seine eigenen Interessen dem Gemeinwohl ein Stück weit unterordnet. Und weil das aus Eigenmotivation der Mitgliedsstaaten ja nur so mäßig funktioniert, führt glaub ich kein Weg daran vorbei sowas auf EU-Ebene verbindlicher zu regeln - oder man lässt es einfach ganz und verpulvert dann auch bitte kein Steuergeld in Technologien die scheinbar niemand will, weil der status-quo für alle ok ist.
Ich glaube, die Fahrgäste wollen das schon, und der Güterverkehr braucht das auf jeden Fall. Doch die Blockierer sitzen im eigenen Land, in der eigenen Regierung. Denn sonst wären die nötige Investitionen schon veranlasst. Scheinbar glaubt man dort noch an eine Klimawende ohne Verkehrswende. Oder man glaubt einfach gar nichts und hofft man kommt damit durch.
Ja die Implementierung des IC Verkehrs mit 200km/h wurde von der Automobilindustrie über die Verkehrskommissionen ca. um 10 Jahre verzögert. Da die Durchschnittsgeschwindigkeit auf der Autobahn damals 80km/h war, war die Automobilindustrie der Ansicht so hohe Geschwindigkeiten von 200km/h seien nicht notwendig(, weil dem Autoverkehr abträglich).
Die (Bundes-)Bahn wusste immer was sie tun musste, aber sie durfte nicht.
Ich war 1965 dreimal auf der IVA München, habe am Bahnsteig gestanden und die Einführung der 200km/h Züge gesehen damals noch mit Loks 10300x, die mit 200 km/h nach Augsburg führen. Dreimal IVA EIntritt konnte ich meinem Vater abpressen inklusive Anfahrt mit Pkw nach München, das hat er auch gerne getan, aber eine Mitfahrt hat er nicht gezahlt.
Ca 1977 kam das ICNetz dann in die Gänge, erst nur mit 1. Klasse, und auf dem Bestandsnetz, folglich waren die Züge leer. Erst mit der Erweiterung auf die 2. Klasse waren die Züge dann gut belegt. 1978 bin ich von Mannheim nach München gefahren 1.Klasse als Student !
Später bin ich beruflich auf Lokomotiven und Triebzügen mitgefahren…genug
Alles was Ihr da so schön schreibt ist mir wundersam bekannt…
Das schöne ebenso wie noch mehr das ärgerliche bis unfassbare.
Ich habe das Interesse und viel Wissen von meinem Vater „geerbt“
Der war fast bis zu seiner Pensionierung Wagenmeister im Wagenuntersuchungsdienst
Im Bahnbetriebswerk Hamburg 2 in Langenfelde.
Der gebrochene Radreifen von Eschede war kurz nach seiner Zeit.
Warum bloß ? Personal und Ausbildungsmängel.
In meiner Jugend bin ich trotz begrenzter Freifahrt vollständig zum Bahnfahrfan mutiert. Mit Hilfe des Trampermonatstickets und später per Interrail.
Den Geschwindigkeitssprung mit LZB habe ich als großartigen Fortschritt erlebt nur all zubald
ausgebremst von unseren Bundesautobahnministern.
Sowohl was den LZB Systemausbau als auch den Bau geeigneter Schnellfahrstrecken angeht.
Beschleunigung verspricht wohl wirklich nur eine wirksame Verbindung von bestimmten Europäischen Strukturen.
Eine Idee , die vielleicht wirklich hilft Bahnentwicklung und Beschleunigung voranzuteiben :
Warum kommt eigentlich niemand auf die Idee diesem Thema sicherheitspolitische Bedeutung und somit Systemrelevanz zuzuordenen ? Seit wann kann man zum Beispiel Panzer zu hunderten mit dem LKW spazieren fahren ? Die Flugpisten für A300M müssen danach auch in jedem Winkel dutzendfach verfügbar sein.
Es war ein Ingenieursfehler.
Der ICEV hatte Luftfederung und war abgestimmt auf die Fahrbahn. In der Serie musste es billiger werden, und die Luftfederung wurde durch Stahlfederung ersetzt. Dann wurden die Radreifen im Betrieb sechzehneckig.
Ergo alles Fertig :
Gummieinlage ohne jede Erprobung und Referenz, nur bis 80 km/h getestet auf Straßenbahnen mit viel geringeren Beanspruchungen .
Ein Kollege aus der lauftechnischen Berechnung meines Arbeitgebers hatte damals einen Brief an die Bahn geschrieben, als diese Änderungen kamen
Hat er mir am Tag nach Eschede erzählt.
NEVER CHANGE A RUNNING SYSTEM.
Eigentlich hätte ein Bahnvorstand ins Gefängnis gehört.