Das 1,5 Grad-Ziel ist Geschichte

Du hast Recht das hier ist das Originalzitat:

Für mich ist nichts davon Panikmache. Das ganze sind realistische Aussagen, vor denen man nicht die Augen verschließen sollte.

Als erstes mal mehr Glaubwürdigkeit. Nur ein Beispiel aus meinem Beruf: Wenn ein Projekt nicht mehr zu schaffen ist und der Projektleiter stellt sich vorne hin uns sagt „Wir schaffen das!“ motiviert das keinen.

So ehrlich, daß die Politiker zugeben, daß sowieso nie geplant war, das 1,5 Grad Ziel einzuhalten, müssen sie gar nicht sein.

Ach und bzgl. dem immer wiederkehrenden Argument, das wir Deutschen bzw. die EU ja nicht allein das Klima retten können: Als einer der historischen Hauptemittenden von Klimagasen und angesichts unseres historischen Resourcenverbrauchs sollten gerade wir uns auch hier unserer „historischen Verantwortung“ stellen.

Ich bin durchaus nicht dafür, aus „pädagogischen Gründen“ zu übertreiben.
Auch stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, eine Analyse, die - berechtigt(!) bedrohlich - und damit gefühlt drastisch erscheint, ohne weitere Informationen, die man damit umgehen kann, einfach nur in den Raum stellen sollte - auch davon bin ich nicht unbedingt ein Freund - aber der Begriff "„apokalyptisch“ ist doch m.E. etwas hoch gegriffen - was genau führt dazu, dass bei Dir ein solch extremes Gefühl auslöst? Es interessiert mich durchaus, denn das liegt gar nicht in meiner Intention!

Aber wie ist es möglich, fundierte Entscheidungen zu treffen, wenn man sich die möglichen Szenarien nicht unverklärt vorher möglichst genau ansieht - und wie kann man gut mit Fehlentscheidungen umgehen, wenn man nicht einmal den Versuch unternimmt, Details, die für die Entscheidungsfindung zusammenzutragen?

Ich weiß, das es nicht zwingend zu meinen Stärken gehört, Dinge, die bei anderen besagte apokalyptische Emotionen wecken, hinreichend zu entschärfen, da diese Daten Dinge zwar auch für mich bedrohlich sind, ohne indes bei mir in einer Handlungsunfähigkeit oder in Abwehr-Ignoranz zu münden.
Also brauche ich eine entsprechende Rückmeldung, um darauf näher eingehen zu können. Ich dachte, genau dafür führen wir hier Dialoge/Diskurse…

Z. B. solche Statements:

So sieht die Antwort auf die von dir zitierte Frage aus:

Noch mal: Ich sehe die Klimakrise auch als bedrohlich an und bin auch der Meinung das mehr getan werden sollte.
Aber die Weltuntergangsrhetorik die hier zum Teil auch genutzt wird, ist nicht Zielführend und führt bei vielen zu Verleugnung und Lähmung.

1 „Gefällt mir“

Der entscheidende Punkt bei der Klimakatastrophe ist, daß diese zu Bedigungen auf diesem Planeten führt, die außerhalb unserer menschlichen Erfahrung liegen. Klar, es gab auch schon in der letzten Eiszeit Menschen. Doch unsere gesammte Entwicklung als Zivilisation liegt in einem sehr engen Temperaturbereich (+/- 1 Grad). Diese Daten sind zuverlässig.

Also auf welche Erfahrungen aus unserer Geschichte sollen uns auf diese neue Welt vorbereiten? Woher nehmen wir die Zuversicht, daß es nicht „apokalyptisch“ wird?

Definiere „apokalyptisch“.

Die Welt geht doch gar nicht unter - es kann sein, dass die Menschheit ausstirbt - ein Vorgang, der auf diesem Planeten „ganz normal“ ist. Es gab auf diesem Planeten auch schon eine ganze Reihe von Massenaussterben (bei der letzten sind u.a. die Saurier ausgestorben) - derzeit befinden wir uns ebenfalls wieder in eine Phase des Massenaussterbens - das neue daran:

  1. wir wissen zum ersten Mal, was die Ursache dieses Massensterbens ist: der Menschen
  2. die Aussterberate verläuft im Vgl. zu den vorangegangenen Massenaussterben unglaublich rasant.

Das alles ist wissenschaftlich fundiert/gut erforscht und ist auf der Ebene rationaler Betrachtungen erst einmal nichts, was mit „apokalyptischen“ Dingen einhergeht.

Was allerdings 3) ebenfalls neu ist, dass es zum ersten Mal uns selbst betrifft.
Wir reden also nicht (nur) über Saurier, Mammuts oder den Auerochsen - wir reden inzwischen auch über uns selbst.

Nun ist der Tod (egal ob unsere persönlicher oder auch der unserer eigenen Art) als Szenario etwas deutlich Bedrohlicheres als der Tod anderer (Menschen wie Lebewesen allg.).
Das liegt in unserem angeborenen Überlebensinstinkt - der stuft natürlich das eigene Ableben als extrem bedrohlich ein - entsprechend viel tut der eigene Organismus, das eigene Sterben zu verhindern.

Wann bzw. wie genau passiert nun der Übergang von der Bereitschaft zur Abwehr hin zur „lähmenden Schicksalsfügung“?

Ich persönlich glaube nicht, dass das nur daran liegt, dass zu wenig Überlebensstrategien zum immer noch mögliche Abwenden der Gefahr angeboten werden - im Gegenteil - sowohl die Naturwissenschaft als auch die Politik (und hoffentlich auch ich) bieten dafür eine ganze Pallette von denkbaren Szenarien an - sie sind zwar allesamt inzwischen nicht mehr verbunden mit einem problemlosen Weiteragieren wie bisher - im Gegenteil - die notwendigen Einschnitte sind wahrscheinlich durchaus signifikant. Aber es gibt diese Strategien durchaus.

Die Frage ist nun, warum wir sie nicht beschreiten?
Deine These ist nun, dass die Leute deswegen auch weiterhin von winzigen Details (mit dem Auto zum Einkaufen fahren) über Kleinigkeiten (jährliche Urlaubsflüge) bis hin zu durchaus größeren Einschnitten (mögliche Verknappung - und damit Verteuerung - der Lebensmittel durch deutlich weniger raumfordernde Landwirtschaft und konsequenten Verzicht auf toxische Substanzen nach dem Gießkannenprinzip) und all die vielen Dinge, an denen die Menschheit (wie auch das Individuum) durchaus etwas/eine Menge(!) verändern könnte, um dem Artensterben und damit dem eigenen Artentod zu entgehen, weil die meisten so geschockt sind von den vielen Hiobsbotschaften, sodass sie ihr kurzfristiges Heil in einem vermeintlich letzten großen Feuerwerk des Vergnügens suchen.

Meine (wie immer nicht repräsentative) Beobachtung ist eine andere.
Der abwiegelnde, fast schon verdrängende Umgang mit der Bedrohung hat aus meiner Sicht eine Vielzahl an Gründen.
Eine ganz wesentliche besteht in der Ungläubigkeit der Fakten, da das Artensterben (und auch die Klimaerwärmung) - auch wenn es sich so rasant wie noch nie zuvor abspielt - sehr lautlos und gemessen an der eigenen Lebensspanne doch noch sehr langfristig abspielt - so verfällt auch der Raucher nicht deswegen in Agonie und raucht bedenkenlos weiter, weil er so geschockt von apokalyptischen Berichten über drohendem Lungenkrebs ist - sondern weil er die Gefahr - so lange es nicht signifikant spürbar ist - einfach herunterspielt.

Ganz abgesehen von seiner Sucht - die ist übrigens auch vielleicht Motor vieler unserer „Abschaltungen“ in Bezug auf die Schilderungen der Gefahren durch Treibhauseffekt und Massensterben - viele sind so „süchtig“ nach ihrem Lebensalltag, dass die notwendigen Änderungen mit gleicher Vehemenz abgewehrt werden wie das Süchtige nun mal in vergleichbarer Situation tun - es mag zwar sein, dass auch hier die alleinige Antwort nicht darin bestehen kann (und darf) immer wieder die künftigen Schrecken der Suchtfortsetzung nur gebetsmühlenartig zu wiederholen - hier ist natürlich auch ein empathischer Umgang gefordert - allerdings nicht in Bezug auf das zu beschreibende Szenario selbst - an diesem ändert sich nichts - und auch nicht an der Forderung, wie dem zu begegnen ist (eben mit den schmerzhaften Einschränkungen oder auch nur schmerzhaften Änderungen) - sondern nur, wie man mit diesem damit einher gehenden Schmerz lernen kann umzugehen.
Die Forderung an eine „empatische“ Politik wäre also nicht, die Fakten abzumildern, sondern Angebote zu machen, wie mit den Ängsten umzugehen ist, die sich unweigerlich einstellen, und die aus wissenschaftlich/intellektuell betrachteten „normalen“ Szenarien erst ein apokalyptisches Bild konstruieren/werden lassen. Das ist aber dann eine völlig andere Diskussion (könnte man hier als eigenen Thread betrachten)!

In dem folgenden Artikel wird es ganz gut beschrieben, wie es beim Beschluss über das grüne Grundsatzprogramm abgelaufen ist.

Den Livestream vom 21.11.20 auf youtube kann ich leider nicht finden, aber es kann auch am 22.11. gewesen sein, davon gibt es einen livestream

Auf jeden Fall hat dort vor der Abstimmung ein Wissenschaftler gesprochen, der gesagt hat, dass das 1,5°Ziel nicht mehr einzuhalten ist.

Merkst du eigentlich gar nicht, das du hier laufend Welt-/ Menschheitsuntergang beschwörst?
Das ist genau das, was nicht hilft.

Zumindest weise ich darauf hin, dass das eine durchaus realistisches, mögliches Szenario ist (das ist so gewollt!) - aber das ist doch genauso, als würde ich hier immer wieder darauf hinweisen, dass jeder von uns irgendeinmal sterben muss - naturwissenschaftlich trivial - als verinnerlichte Erkenntnis aber durchaus wichtig und hilfreich, um darauf fußend sinnvolle Entscheidungen zu treffen, damit wir die Zeit, die uns bleibt, nicht unnötig verkürzen oder gar fahrlässig aufs Spiel setzen - na und - selbst dann na und, wenn es eine ganze Reihe von Menschen gibt, die Angst vor dem Sterben bekommen, wenn man den Tod zu oft thematisiert?

Ich habe die Diskussion oft genug auf der individuellen Ebene mit Motorradfahrern geführt, als es um die Einführung der Helmpflicht ging (zugegeben, ein Weilchen her) - auch da hieß es schon des Öfteren, ich möge den Teufel doch nicht an die Wand mahlen, und „es wird schon nichts passieren“ bzw. „nicht so schlimm werden, wenn es mal doch zum Unfall kommt“, oder gar „mich wird es schon nicht treffen“.

Erst in den Köpfen der Menschen entscheidet sich, ob das eher lähmend oder hilfreich ist - warum soll es falsch sein, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse in Form von deutlichen Mahnungen an die Verursacher zu adressieren?
Weltuntergang ist allerdings zu hoch gegriffen - die Welt wird - wenn man es nicht sehr Meta-philosophisch/quantenmechanisch betrachtet, auch ohne den Menschen weiter existieren, sollte er aussterben.

Du verwechselst meiner Meinung nach (s.o.) die Sachebene mit der psychologischen Ebene, weil Ängste und Sorgen zu verarbeiten sind - dass solche Aussagen Ängste und Sorgen schüren - ist mir klar - und auch gewollt!

Es ist aber zur Lösung des Problems noch weniger hilfreich, so zu tun, als wäre „im Prinzip noch alles in Ordnung“, da dann viel zu wenig Motivation besteht, die notwendige Energie auch tatsächlich aufzubringen, grundlegend etwas zu ändern (wie beim Helm auch).

Der „Vorwurf“ wäre nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um „pädagogische Übertreibungen“ handelt - davon müsstest Du mich aber erst einmal überzeugen.

Mad Max - Teil 1 bis 5 :slight_smile: [1]
Nur ohne Benzin.


  1. PS: Ui - es gibt ja tatsächlich fünf Teile! ↩︎

2 „Gefällt mir“

Habe ich nicht gesehen.

Um die Diskussion um die richtige Art der Kommunikation noch zu ergänzen hier ein Beitrag aus Fix the News:

If you go searching for stories about deforestation in the Amazon however, this is not what you will find. Instead, you will see wall to wall coverage about this year’s record fires, a consequence of the most intense and widespread drought in Brazil’s history. Rainforests are not supposed to burn. We are seeing the very real effects of climate change in real time, and it’s scary.

Here’s the question: what kind of story should the media be telling the world about what’s happening in the Amazon right now? The ‚race against time‘ story, which clearly describes the scale of the challenge, but also showcases progress, and explains what is being done about it? Or the ‚we’re all doomed‘ story, which uses apocalyptic language, lists one problem after the other, and finishes with a quote from a political scientist claiming we’ve reached ‚the point of no return‘?

One of these stories is disaster porn, and it’s the story the whole world is hearing about the Amazon right now.

The other story is solutions journalism, and you’ll be lucky if you can track it down.

More solutions journalism.

Less disaster porn.

Die „Wettlauf gegen die Zeit“-Geschichte, die das Ausmaß der Herausforderung klar beschreibt, aber auch den Fortschritt aufzeigt und erklärt, was dagegen unternommen wird? Oder die Geschichte „Wir sind alle verloren“, die eine apokalyptische Sprache verwendet, ein Problem nach dem anderen auflistet und mit dem Zitat eines Politikwissenschaftlers endet, der behauptet, wir hätten den „Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt“?

Wenn Du mich fragst: natürlich ersteres! Aber dazu gehört eben auch die detaillierte Analyse und die Prognose, welchen Verlauf das nehmen könnte - in keinem meiner Post wirst Du finden, dass das Ende lange schon unausweichlich ist - allerdings sehen die Prognosen eben nicht gut aus, weil wir zu wenig tun - die Wahrscheinlichkeit, bei 3,5° Erwärmung und einem weiterhin steigendem Artensterben und weiter anhaltendem Rückgang der Biodiversität ist einfach deutlich höher - so, wie der Unterschied zwischen Motorradfahren mit und ohne Helm. Wenn man die möglichen schweren und schwersten Kopfverletzungen, die dabei entstehen können, durchdekliniert, und die Easyrider das irgendwann nicht mehr hören können - warum ist das dann gleich Weltuntergandszenario?
Und wenn ich mich mit meiner panzergrenadierenden Tochter darüber unterhalte, dass sie im Gefechtsfall die erste Stunde nur mit 10%iger Wahrscheinlichkeit überlebt (angeblich laut ihr offizielle Aussage der Bundeswehr selbst) - ist das dann gleich Horror und Weltuntergang - ich finde, nicht. Es ist die Auseinandersetzung mit den möglichen/wahrscheinlichen Folgen von Entscheidungen, die notwendig ist, um solche Entscheidungen überhaupt treffen zu könnnen. Auch, wenn das zuweilen sehr schmerzhaft sein.

Kurzer Hinweis: Wenn man aus einem Beitrag ein Zitat wieder zitiert, kann es so aussehen, als wäre das Zitat vom Autor des Beitrags. Um das zu vermeiden muss man folgendes tun:

Das Feld in dem der Name des Autors steht (quote=„WitzelJo, post…“) muss durch einen passenden Text ersetzt werden.

1 „Gefällt mir“